„Sau liegt“.
So oder so ähnliche Meldungen geben den Abschuss eines Wildschweins bekannt. Wie andere Schalenwildarten auch wird Schwein fachgerecht aufgebrochen und versorgt und wandert in die meist heimische Kühlung zur Fleischreife. Doch bevor das schmackhafte Wildbret verzehrt werden kann, stehen lebensmittelhygienerechtliche Untersuchungen an.
Ionisierende Strahlung
Neben der Untersuchung auf Trichinen (Fadenwürmer die zoologisch relevant sind) ist eine Becquerel-Messung notwendig, gesetzlich zumindest für die Fälle der Abgabe des Wildbrets. Wird das Fleisch nur für den Eigenbedarf verwendet ist dieser Schritt fakultativ. Allerdings sollte auch in Eigeninteresse um der Gesundheit Willen die ionisierende Strahlung vor dem Verzehr gemessen beziehungsweise abgeklärt werden.
Das Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop des Cäsium, ein Spaltprodukt der Kernspaltung in Kernkraftwerken. Es hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren, im Magen-Darm-Trakt eines Säugers wird es resorbiert und im Muskelgewebe gespeichert. Cäsium selbst ist gering giftig, die radioaktiven Isotope wiederum sind Verursacher der Strahlenkrankheit.
Die biologische Halbwertszeit beträgt je nach Alter und Geschlecht etwa 110 Tage.
Hintergrund ist die 1986 erfolgte Havarie des AKW Tschernobyl in der Ukraine und die durch den explodierten Reaktor freigesetzte Strahlung von mehreren Trillionen Becquerel die sich durch Windströmungen damals über Europa verbreitete und als radioaktiver Fallout in Form von Staub und Washout in Form von Regen über weiten Teilen Deutschlands niederging.
Die Menge des Niederschlages war nicht gleichmäßig, je nach Region variierten die Strahlungswerte. In Norddeutschland wurden Werte bis zu 4 000 Becquerel gemessen, in Bayern bis zu 100 000 Becquerel pro Quadratmeter Boden. 1986 ergab sich für 3 Monate eine Exposition von etwa 0,6 µSievert für die Bevölkerung. Zum Vergleich, ein Flug von München nach Japan hat 0,1 mSievert.
Becquerel (Bq) ist eine physikalische Einheit und gibt den radioaktiven Zerfall pro Sekunde an. Der Begriff wird zur Beschreibung der Belastung von Lebensmitteln verwendet. Sievert ist ebenfalls eine physikalische Einheit und bezieht sich auf die Wirkung der Strahlenbelastung für einen Organismus, den Strahlendosen. Die mittlere Strahlenbelastung in Deutschland wird mit 2,1 Millisievert pro Jahr angegeben. Quellen für diese Exposition sind Baustoffe, bei Flugreisen und Nahrungsmittel.
Doch warum sind Schweine in 2022 betroffen?
Wildschweine brechen bei der Nahrungszufuhr den Boden auf, das heißt sie suchen nach schmackhaften Engerlingen, Würmern Check oder Wurzeln in den oberen bodenschichten, eben den Schichten in denen der radioaktive Regen niederging und wo sich das Cäsium-137 in das Pilzmyzel eingelagert hat. Das Pilzmyzel ist der Körper des Pilzes bestehend aus Zellen, der “Pilz” den wir essen ist nur der Fruchtkörper, wenn man es vergleichen wollen würde also die Blüte einer Pflanze. Pilze sind keine Pflanzen.
Das Cäsium-137 wird über die Wurzeln der Pflanzen aufgenommen.
Im Feldbereich ist es an Tonminerale gebunden, dort lagert es sich also nicht so leicht ein und die Bodenhorizonte werden durch die Bodenbearbeitung stark durchmischt, anders aber im Wald. Schwein sucht nun also in entsprechenden Horizonten des Bodens nach Nahrung und nimmt dadurch unbewusst das radioaktive Cäsium-137 mit der Nahrung auf. Eingelagert wird das radioaktive Cäsium-137 im Muskel, sprich im Fleisch. Verzehren wir dieses Fleisch nehmen wir nun wiederum das Cäsium-137 auf.
Messergebnisse (hier der Mittelwert 2021) zeigen eine unterschiedliche aber dennoch geringe Belastung durch Cäsium-137 bei Lebensmitteln.
(Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz, Tschernobyl Umweltfolgen; Messergebnisse aus dem integrierten Mess- und Informationssystem zur Überwachung der Umweltradioaktivität (IMIS) für landwirtschaftliche Produkte aus inländischer Erzeugung im Jahr 2021 (Stand 02.03.2022): Spezifische Cäsium-137-Aktivität in Becquerel pro Kilogramm Frischmasse bzw. Becquerel pro Liter)
Um einen gesundheitsschädlichen Effekt des Verzehr zu verhindern wurden Grenzwerte für die Strahlenbelastung für Nahrungsmittel im Handel festgelegt, sie liegen in Deutschland bei
600 Bq pro Kilogramm Lebensmittel.
Für Milch, Milchprodukte und Säuglings- und Kleinkindnahrungsmittel liegt der Werts sogar bei nur 370 Bq/kg. Ausgenommen von dieser gesetzlichen Regelung sind zur Zeit nur Produkte aus Japan aufgrund des Vorfalles von Fukushima. Seit 1987 galten durch die Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 im Falle eines nukleare Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation die Grenzwerte von 600 Bq/Liter für Milch und 1250 Bq/kg für alle anderen Lebensmittel. Der Handel hat durch Vorfall in Fukushima und die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 297/2011 nun innerhalb der EU die Grenzwerte der Importe auf 500 Bq/kg für Milch und für alle anderen Lebensmittel auf 2000 Bq/kg begrenzt.
Wird also nun 500 g Muskelfleisch vom Schwein an einer der bekannten Becquerel-Messstation untersucht, darf hier – zumindest wenn man vom Eigenbedarf absieht – kein Wert von über 600 Bq/kg erreicht werden. Der Jäger erhält das Messergebnis direkt vor Ort. Hat nun also ein Stück einen Becquerel-Wert von über 600 Bq/kg, so ist es nicht mehr in den Umlauf, anders zur Abgabe zu bringen. Es muss unschädlich entsorgt werden.
Trostpflaster
Es kann über den Ausgleich nach der Richtlinie zur Abwicklung von Ausgleichsansprüchen nach § 38 Abs. 2 des Atomgesetzes nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl (Ausgleichsrichtlinie) eine Entschädigung beantragt werden. Anders gesagt, für jedes verstrahlte Wildschwein kann eine Entschädigung beantragt werden. Benötigt wird das offizielle Messprotokoll der Becquerel-Messung, die Quittung (Nachweis der Untersuchungskosten) davon sowie die Entsorgungsbestätigung (Amtlicher Vernichtungsnachweis nach Kategorie 1) durch eine Tierkörperbeseitigungsanlage. Eingereicht wird alles in der jeweiligen UJB, der Antrag auf Schadensausgleich nach der Ausgleichsrichtlinie zu § 38 Abs. 2 Atomgesetz; Wildbret geht dann nach Köln zum Bundesverwaltungsamt. Für einen Frischling kann man bis zu 100 Euro erhalten, für ein adultes Schwein etwa 200 Euro.
Die sich stellende Frage ist die nach weiteren belasteten Lebensmitteln.
Was ist mit Reh und Pilzen?
Werte von über 4000 Bq/kg sind bei Pilzen keine Seltenheit. Manche Arten sind mehr betroffen als andere, ebenso wie mancher Standort ausschlaggebend ist. Auch hier gilt für die Abgabe der Grenzwert von 600 Bq/ kg, auch hier zählt es bei Eigenbedarf nicht.
Aber – wer lässt seine Pilze messen?
Semmelstoppelpilzen, Rotbraunen Semmelstoppelpilzen, verschiedenen Schnecklingsarten, Gelbstieligen Trompetenpfifferlingen, Gemeinen Rotfußröhrlingen, Maronenröhrlingen, Mohrenkopfmilchlingen, Ockertäublingen, Reifpilzen, Seidigen Ritterlingen, Violetten Lacktrichterlingen, Ziegenlippen um nur einige zu nennen, sind belasteter als andere Arten, wie das BFS feststellte. 200 Gramm Pilze mit einem Becquerel-Wert von 3000 Bq/kg entspricht einer Belastung von etwa 0,008 mSievert.
Zum Vergleich, ein Stück Wildbret mit einem Wert von 600 Bq/kg entspräche einer Belastung von 0,0075 mSievert.
Das wiederum entspräche 0,36% der üblichen Jahresdosis an Strahlenbelastung eines Erwachsenen in Deutschland.
Dennoch – auch andere Arten sind Betroffene. Rehwild, Rotwild und Damwild kann ebenso belastet sein. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat 2013 144 Tiere (Rehwild, Rotwild, anderes Haarwild) beprobt. Unterschiedliche Werte waren auch bei Reh und Co. zu erwarten, zwar nicht im selben Maße wie Wildschwein aber nichtsdestotrotz mit erhöhten Werten.
Insgesamt blieben die Werte dennoch bis auf einen Ausreißer unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Auch zukünftig wäre eine Beprobung, zumindest stichprobenartig, sicher interessant.
Wer also die Strahlenexposition gering halten möchte sollte seine Lebensmittel, in diesem Fall Wildbret messen lassen und gegebenenfalls auch bei geringen Werten nicht verzehren und die Menge anderer potentiell belasteter Lebensmittel möglichst gering halten, je nach Standort. Es ist wie immer – auf die Menge kommt es an.
Gegen einen gelegentlichen Pilz- und Wildbretverzehr spricht dennoch nichts!
Weitere Informationen unter:
https://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/chemie/kontaminanten/radioaktivitaet/ue_2013_radioaktivitaet.htm
https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/lebensmittel/radioaktivitat/radioaktivitaetsuntersuchungen-von-niedersaechsischen-wildfleischproben-169048.html
https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/lebensmittel/radioaktivitat/laves-untersucht-wildpilze-radioaktive-werte-liegen-weiterhin-deutlich-unterhalb-des-grenzwertes-73881.html
https://www.bfs.de/DE/themen/ion/umwelt/lebensmittel/pilze-wildbret/pilze-wildbret.html